Im eMove360°-Interview erklärt Dr. Enno Littmann, CEO der IHSE GmbH, die zunehmende Bedeutung von Leitstellen für die verschiedenen Formen der Mobilität und was es mit KVM-Technik in Verkehrsleitstellen auf sich hat.
Herr Dr. Littmann, Sie sind Entwickler und Hersteller von KVM-Geräten. Was genau ist darunter zu verstehen?
KVM steht für „Keyboard, Video, Mouse“. Die KVM-Technologie ermöglicht es, mehrere Computer oder Server von einer zentralen Konsole aus in Echtzeit zu bedienen. Neben der Möglichkeit der zentralen Überwachung schafft KVM ein flexibles Arbeitsumfeld, bei dem die Bediener zwischen verschiedenen Computern und Anwendungen nahtlos wechseln und diese gemeinschaftlich nutzen können, ohne die räumliche Trennung in den Arbeitsabläufen wahrzunehmen. Optimal ist die KVM-Technik dann, wenn die Anwender sie nicht mal bemerken; denn sie soll Arbeitsabläufe vereinfachen und nicht selbst im Vordergrund stehen.
Wo kommt KVM-Technik im Bereich der Mobilität zum Einsatz?
Das fängt schon bei der Entwicklung von Automobilen an. Während traditionell mit relativ unflexiblen Ton-Modellen gearbeitet wurde, haben viele Hersteller mittlerweile auf einen digitalen Prozess umgestellt: Designer arbeiten gemeinsam an 3D-Visualisierungen. Damit diese von allen Arbeitsplätzen, sowie auf Präsentationsflächen und Videowänden in Echtzeit abgerufen werden können und sie sogar mit Virtual-Reality-Simulatoren getestet werden können, kommt KVM zum Einsatz. Die Technik ermöglicht hier den schnellen Zugriff von überall und das Sharing, also die Zusammenarbeit zwischen räumlich getrennten Anwendern, sowie die Verteilung von Inhalten an Displays und natürlich die Multi-Signal-Unterstützung, was VR- und AR-Realisierungen miteinschließt.
Aber auch in der Verkehrsüberwachung ist KVM zu einer entscheidenden Größe geworden.
Inwieweit überwacht KVM Verkehr und Mobilität?
KVM-Technik ermöglicht eine zentralisierte und effiziente Kontrolle über verschiedene Aspekte der Mobilität. In Bereichen wie öffentlicher Nahverkehr, Logistik und Lieferkettenmanagement ermöglichen KVM-Systeme die zentrale Überwachung und Steuerung mehrerer Fahrzeuge von einer zentralen Leitstelle aus.
Bei größeren Verkehrssystemen jenseits des Straßenverkehrs ist KVM-Technik schon seit langem eine feste Größe, etwa zur Überwachung und Steuerung von Betriebsabläufen des Bahnverkehrs oder in der Luftverkehrsüberwachung. An vielen großen Flughäfen, u. a. in Frankfurt oder auch in der amerikanischen Luftverkehrsüberwachung kommen unsere KVM-Systeme ebenso zum Einsatz wie beim S-Bahnverkehr von Sidney, der staatlichen israelische Eisenbahngesellschaft oder bei einer Hochgeschwindigkeitsstrecke der französischen Eisenbahn.
Aber auch Autobahnbetreiber nutzen unser KVM, um den Verkehrsfluss zu überwachen und bei Bedarf in Echtzeit zu steuern, zum Beispiel durch die Aktivierung von Lichtanlagen oder Anzeigen für Geschwindigkeitsbegrenzungen von einer zentralen Leistelle aus.
Das große Zukunftsthema der Mobilität ist das autonome Fahren. Welche Funktion erfüllt KVM in diesem Feld?
Das Stichwort ist auch hier die Leitstelle, in der alle Informationen über ein KVM-System zusammenlaufen und geschaltet werden. Der autonome und teilautonome Verkehr der Zukunft ist nur möglich mit Hilfe zentraler Leitstellen, die sämtliche Verkehrsdaten – etwa über Sensoren an den Fahrzeugen oder von externen Quellen wie beispielsweise Wetterdiensten – sammeln, validieren und daraus Handlungsempfehlungen ableiten oder Maßnahmen ergreifen, wie zum Beispiel das Umleiten von Verkehr oder das Informieren von Rettungsdiensten.
Leitstellen dienen als zentrale Kontrollpunkte, um die Bewegungen von autonomen Fahrzeugen zu koordinieren. Dies ist entscheidend, um Kollisionen zu vermeiden und einen reibungslosen Verkehrsfluss zu gewährleisten. Die entscheidende Rolle bei autonomen und vernetzten Fahrzeugen spielt die Interaktion mit den Fahrzeugsystemen. Die Leitstelle stellt den Verkehrsteilnehmern die relevanten Informationen in Echtzeit zur Verfügung, um den Verkehrsfluss zu optimieren.
Das ermöglicht nicht nur einen sicheren und möglichst ungefährdeten Verkehr, sondern reduziert auch noch Staus, Lärm und Emissionen.
Sie haben in den vergangenen drei Jahren an dem vom Bundesverkehrsministerium geförderten Forschungsprojekt ALFRIED mitgewirkt, das neuen Konzepte für das automatisierte und vernetzte Fahren entwickelte. Welche Zielsetzung hatten Sie?
Unsere Aufgabe war die Entwicklung einer Smart-City-Leitstelle, in der wir testen, welche Voraussetzungen solche Kontrollräume für den Verkehr der Zukunft erfüllen müssen. Die Smart-City-Leitstelle ist als offenes Demonstrationszentrum konzipiert, das den realen Verkehrsbetrieb simuliert.
Das KVM-System sammelt alle eingehenden Daten und stellt sie den Bedienern zur Verfügung, um den Verkehrsfluss zu managen. So konnten wir zusammen mit unseren Kooperationspartnern aus Forschung und Industrie verschiedene Konzepte unter realen Bedingungen entwickeln, testen und der Öffentlichkeit vorstellen.
Wo sehen Sie die großen Herausforderungen für die Mobilität der Zukunft?
Das Herzstück der Mobilität der Zukunft wird in noch größerem Umfang als heute die Leitstelle sein. Verkehrsleitstellen sind Teil der kritischen Infrastruktur und als solche müssen sie geschützt werden vor Cyberangriffen.
Sicherheitslücken können zu enormen Verkehrsbeeinträchtigungen, Unfällen, Einschränkungen bei den Notfalldiensten und vielem mehr führen. Daher müssen die Verkehrsleitstellen der Zukunft Sicherheitsanforderungen erfüllen, die von aktuellen kommerziellen Leitstellenkonzepten noch nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Für die Smart-City-Leitstelle haben wir ein solches Sicherheitskonzept entwickelt, das mit Hilfe des KVM-Systems auf vielen Ebenen die Gefahren von internen und externen Sicherheitsbedrohungen eliminiert. Gerade in Zeiten von Cyberangriffen müssen die eingesetzten IT-Systeme ein Höchstmaß an Daten- und Zugriffssicherheit aufweisen, indem die Schwachstellen identifiziert und durch cyberresiliente IT-Systeme gesichert werden.
Mit verbesserten Abwehrmechanismen in allen Bereichen der neuen Mobilität blicke ich sehr zuversichtlich auf die neuen Formen von autonomen Verkehrssystemen und bin davon überzeugt, dass wir als gesamte Gesellschaft von den Möglichkeiten enorm profitieren werden.
Das Interview erschien im eMove 360° Magazin, Ausgabe 1-2024